Moskau im Herbst 2017
AllgemeinDie Aeroflot hat wohl im Computersystem meine Schwerbehinderung gespeichert, denn nach unserer Ankunft aus Simferopol stand am Gate vom Flughafen Scheremetjewo schon ein Wagen für mich bereit, der mich ohne Treppen zur Kofferausgabe brachte. Wieder dauerte es nur 10 Minuten, bis unsere Koffer da waren. Von nun an konnte ich mich laufend wundern, wie viel sich in den letzten fünf Jahren seit meinem letzten Besuch geändert hat. Scheremetjewo ist inzwischen mit einer Schnellbahn an das Bahnhof- und Metrosystem Moskaus angeschlossen. Trotzdem hat Valentina ein Taxi gerufen, das auch bald da war. Es sind bis zum Stadtrand Moskaus 30 km.
Es gibt nämlich auch eine Maut-Schnellstraße für 4 € bis zu dem inneren Autobahnring Moskaus, so dass man die Fahrt durch die Vororte umgeht. Zeitersparnis 20 Minuten. Nach 30 Minuten waren wir in Valentinas Wohnung, und mein erstes Staunen war der offiziell angezeigte Taxipreis – 18 €. Noch vor wenigen Jahren hat die Mafia da die Preise diktiert. Die waren wahnsinnig übertrieben, so dass ich immer einen Abholer von Siemens bestellte oder meinen Freund Alexander von Energienetz-Projekt bemühte.
Nun saßen wir also schon am gedeckten Tisch bei Valentina. Mein Buch in Russischer Sprache war auch rechtzeitig geliefert, und das war erst mal mein größtes Interesse.
Petja kam gleich mit der interessanten Frage. „Was ist eine Lichtbogenlöschkammer?“
Alle Achtung, es hat zwar lang gedauert, aber von allen Ausgaben des Buches in vier Sprachen, ist die russische nun am besten gelungen. Es ist sehr gutes Papier verwendet, so dass das Buch ganze 1,5 kg wiegt. Die Bilder sind farbig (Springer Verlag kann sich das beim Preis von 128 € pro Buch nicht leisten). Die russische redaktionelle Bearbeitung hat auch zufriedenstellend geklappt, so dass die länderspezifischen Philosophien der Systemführung harmonisiert dargestellt sind. Ja es wurden nun im russischen Technikwortschatz sogar neue Definitionen eingeführt!
Nun bleiben wir also eine Woche bei Valentina und Sascha. Die Wohnung ist sehr modern und vom Feinsten eingerichtet. Dazu zählen das Inventar, die Bilder an der Wand und Valjas Tausend kleinen Nippsachen. Auch Tschechows Dame mit dem Hündchen (Larissa) steht unter anderen hübschen Dingen. Aber besonders beeindruckend ist die Fotoserie von der Teilnahme der Schwestern Valentina und Luisa am Marsch des „Unsterblichen Regiments“ mit den Fotos der Eltern. Zum Tag des Sieges ziehen seit ein paar Jahren die Nachkommen mit den Fotos ihrer am Krieg teilgenommenen, verstorbenen Verwandten über den Roten Platz. So sind Nataschas Eltern unvergessen auch dabei.
Nun es ist Zeit die Umgebung zu betrachten. Vom Balkon aus nach Süden kann man links die Türme von Moscow City erkennen und weiter rechts in der Ferne sogar den Turm des Kiewer Bahnhofs in stalinistischer Bauweise. Im Vordergrund wird aber an einem neuen Hotel für die Fußballweltmeisterschaft gebaut, und das soll sogar pünktlich fertig werden. In zwei Tagen wurde eine Etage hochgezogen! Rechts steht dann ein großes Kaufhaus – und wer ist darin so alles? H&M, Burger King, McDonalds aber auch zunehmend russische Geschäfte!
Der Blick von unserem Schlafzimmer aus geht nach rechts ins Grüne auf Petjas Schule und bis zu den gegenüber liegenden Hochhäusern, wo auch Mascha und Petja wohnen. Das ist ein schöner Spaziergang und Petja kann oft bei den Großeltern sein. Weiter links aber sieht man ferne Gebäude, die zum großen Einkaufszentrum „Avia Park“ gehören.
Das Einkaufszentrum haben wir natürlich auch besucht, und da gingen uns echt die Augen über. So was Großzügiges und modern Gestaltetes haben wir nirgendwo in der Welt gesehen. Es gibt nicht nur alle Sorten Läden, auch Sporthallen und Eisbahn.Erstaunlich übrigens, dass die französische Auchan die am meisten vertretene Kaufhauskette in Moskau ist. Aber es gibt auch Billa, Tesla, Obi, Mediamarkt sowie viele neue russische Unternehmen.
Im Zentrum steht ein 20 m hoher Wasserzylinder – im Guiness-Buch als höchstes Zylinderaquarium gewürdigt, und da war gerade ein Taucher dabei, alles zu reinigen!
m Zentrum steht ein 20 m hoher Wasserzylinder – im Guiness-Buch als höchstes Zylinderaquarium gewürdigt, und da war gerade ein Taucher dabei, alles zu reinigen!
Alle bekannten westlichen Marken sind hier vertreten und man wundert sich, wo denn da die Sanktionen bleiben? Aber neben den westlichen Edelmarken entstehen in wachsendem Maße auch russische Edelmarken, die sich hier niederlassen. Aber das war eher interessant für Natalie. Mascha und Petja gingen ins Kino, aber Sascha und ich frequentierten eines der Cafes neben der Eisbahn für einen Drink.
Hier hatte ich ein besonders nettes Erlebnis – eins das die neue Denkungsart der Russen demonstriert. Ich hätte gern einen Irish Coffee bekommen – der stand aber nicht in der Speisekarte. „Ich werde das klären“, versprach der nette Kellner. Und tatsächlich, nach einem klärenden Anruf an der Bar bekam ich den Irish Coffee. Der Gast ist also König!
Auf der Rechnung standen dann die Einzelpositionen (übertragen in €): – Kaffee 2,80 – Sahne 1,10 – Whisky 2,20 und mit 6,10 etwa der Preis, den man auch bei uns bezahlt.
Den Riesenumschwung auf allen Ebenen des Service kann eigentlich nur verstehen, wer die Gastronomie zur Sowjetzeit kennen gelernt hat. „100 Jahre brauchen die noch,“ hatte Gottfried 1971 bei unserem gemeinsamen Besuch im Restaurant des Fernsehturms von Ostankino gestöhnt – es ging dann aber äußerst flott, innerhalb weniger Jahre!
Das gilt auch für den Nahverkehr! Es ist nicht weit bis zur nächsten Metrostation von der Wohnung aus, aber diese Station wird gerade an den neuen äußeren Metroring angeschlossen, so dass wir mit einem der Mercedes- oder Trolley-Busse vor der Haustür in 5 Minuten zur nächsten Metrostation fahren können. Früher kannten wir nur überfüllte Verkehrsmittel. Heute ist das anders. Die Busse fahren in regelmäßigen Abständen je nach Tageszeit. An den meisten Stationen sind Anzeigen, in wieviel Minuten Busse der möglichen Linien kommen. Alle Anzeigen – Straßennamen, Bus- und Metrostationen, Wegweiser….. sind heute in Russisch (kyrillisch) und Englisch ausgewiesen. Auch die Stationsansagen in Russisch und Englisch. Jedes Verkehrsmittel hat den einheitlichen Preis von 35 Rubel (50 Cent). Wechselt man innerhalb einer Viertelstunde, kostet die Anschlussfahrt nur die Hälfte. Man bezahlt mit einer aufladbaren Karte und sieht jedes Mal, was man bezahlt hat und wieviel Geld noch auf der Karte steht. Dazu darf man bei Bus und Straßenbahn nur in den ersten Einstieg einsteigen und nach der Abbuchung wird ein Drehkreuz freigegen. Junge Leute kriechen schon mal unten drunter durch. Rentner aber haben mit ihrer Karte immer freie Fahrt. Egal wohin ich mit meinem Gehstock komme und wenn gerade kein Sitzplatz frei ist steht immer jemand auf und bietet mir den Platz an. Die Buseinstiege und sogar die Treppen zur Metro sowie die Eingänge zu öffentlichen Einrichtungen sind inzwischen alle behindertengerecht gestaltet. Der Verkehrsfluss läuft nicht mehr so chaotisch, da die Ampeln verkehrsgesteuert sind mit Phasenzeitangaben!
Aber es wird strikt auf Sicherheit geachtet. Je nach Frequentierung stehen an den Eingängen zur Metro zwischen 2 bis 10 Sicherheitsschleusen und ein Sicherheitsbeamter prüft gesondert nach, wenn die Schleusen Alarm geben. Sicherheitsschleusen gibt es auch in den Theatern, Kaufhäusern, Museen, Kirchen, Bildungseinrichtungen… Die Hersteller solcher Einrichtungen müssen mit Moskau und anderen großen Städten Russlands ein Riesengeschäft gemacht haben. Die Terroristen sollen keine Chance mehr haben. Man kann sich in Moskau sicher fühlen! Erstaunlicherweise behindern die Schleusen nicht den Menschenstrom. Am Flughafen werde ich immer besonders untersucht – wegen meiner Titanhüften. Diese Schleusen zeigen das aber nicht an, während der Mann mit einer Trompete kurz zur Prüfung stehen bleiben musste.
So fuhren wir am zweiten Tag mit der Metro bis Kitaigorod (klingt wie Chinatown). Natalie hat seit Tagen Schmerzen im Brustbein, und nach einem kurzen Anruf eines medizinischen Diagnostikzentrums bekamen wir für den nächsten Vormittag einen Termin für MRT. Zum Glück ist es nur eine Entzündung, so dass wir erleichtert unsere Moskauerkundung fortsetzen können – durch Kitaigorod zum Roten Platz!
Kitaigorod ist eine der ältesten Gegenden der Stadt und beherbergt zahlreiche denkmalgeschützte Bauwerke, von denen einige noch aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammen. In der Tat hat der Name des Viertels nichts mit China zu tun. Einige Historiker vermuten, dass Kitai vom Wort Kit abstammt, mit dem man zusammengebundene Holzbalken bezeichnete, die bei der Errichtung von Schutzwällen verwendet wurden. Früher bin ich mehrmals durch Kitaigorod zum Energieministerium oder zum „Dispatchzentrum des Elektroenergiesystems“ gelaufen. Die Gegend war ziemlich schmuddelig und heruntergekommen. Welche Überraschung, wie schön es heute ist – beginnend bei den Ausgängen der Metrostationen zu beiden Seiten des Parks „Alter Platz“.
Früher war das eine einzige Betonfläche, der „Noginplatz“ benannt nach dem ersten Handelsminister der Leninregierung (der sogar mit den USA Verhandlungen führte). Sein Denkmal steht nun in einem Park für Relikte der Sowjetzeit. Heute steht an der einen Seite des Parks das Denkmal an die Schlacht von Plewen 1877 zur Befreiung Bulgariens vom osmanischen Joch. Die andere Seite des Parks ziert das Denkmal für die Mönche Metodi und Kyrill, die Schöpfer der kyrillischen Schrift.
Die Häuser auf dem Weg zum Roten Platz erstrahlen alle in neuem Glanz, und es ist so erstaunlich, wie durch den Verfall in der Sowjetzeit diese Schönheit versteckt werden konnte. Heute trauen sich sogar Fahrradfahrer in den Moskauer Verkehr!
Die Straßen sind sauber, von historischen Laternen gesäumt und Läden, Cafes, Restaurants reihen sich aneinander. Natürlich muss McDonald auch dabei sein.
Auch das große Kaufhaus GUM am Roten Platz hat sich herausgeputzt. Früher strömten durch die Gänge Menschenmassen aus allen Gegenden der Sowjetunion, um irgendetwas Besonderes zu erstehen. Gab es was, reckten sie die Arme nach vorn, damit der Verkäufer eine Nummer auftragen konnte, in deren Reihenfolge das „Defizit“ dann verkauft wurde. Vor fünf Jahren war das GUM schon schön renoviert, aber es waren kaum Leute da – denn es war nur teuren westlichen Boutiquen vorbehalten. Heute ein ganz anderes Bild. Die Edelboutiquen sind noch da, aber daneben gibt es auch russische Geschäfte. Das berühmte russische Eis „Plombir“ gibt es auch noch und viele Bänke zum Ausruhen. Zurzeit sind in den Gängen auch Stände landwirtschaftlichen Produkten Russlands eröffnet. Da konnten wir auch probieren und fanden heraus, dass Wurst, Schinken und Käse aus eigener Herstellung heute phantastisch gut gelingen. Da haben wir gleich ein großes Paket mitgenommen auf unsere weitere Wanderung.
Die Wanderung ging weiter über den Roten Platz zum neuen Park „Aufbruch“. Inzwischen gibt es auch für Moskau die „Hop-on, Hop-off“-Buse zum Sightseeing.
Der Blick auf die Moskwabrücke, die zum Roten Platz führt (rechts) erinnert mich an eine Talkshow im ARD. Auf dieser Brücke wurde der Politiker Nemcow 2015 nachts ermordet, als er mit seiner aktuellen ukrainischen Geliebten aus einem Restaurant kam. Natürlich war Putin Schuld, und die bösartige ARD-Korrespondentin für Moskau giftete doch tatsächlich: „Diese Brücke ist ständig überwacht, und wenn Du nur den Fotoapparat zückst steht schon ein Polizist neben Dir und verhindert das Fotografieren!“
Dümmer kann man doch gar nicht lügen. Dabei war der von unseren Medien als kämpferischer Demokrat verklärte Politiker zwischen 1997 und 1998 Vizepremier unter Jelzin. Wegen Korruption, Ämtermissbrauch und Führung des Landes in die große Wirtschaftskriese von 1998 wurde er aber ziemlich schnell auf Druck des Parlaments gefeuert. Danach trat er beständig gegen die gerade amtierenden Regierungen Jelzin, Putin oder Medwedjew auf und stilisierte sich in westlichen Medien sowie in der Ukraine als “aufrechter Kämpfer” gegen die Politik seines Landes. Als Kandidat der „Rechten Kräfte“ war er bei den Präsidentschaftswahlen 2008 chancenlos (< 1 %) und auch in seiner Heimatstadt Sotschi konnte er 2009 bei Wahlen mit 13 % der Stimmen nicht Bürgermeister werden. Heute streiten sich drei Ex-Ehefrauen, zwei Geliebte und vier Kinder um das in der Schweiz gebunkerte Erbe von hunderten Millionen US$ vor Gerichten.
Aber schauen wir uns an, was neben der Brücke in nur 3 Jahren entstanden ist: Anstelle des früheren „größten Hotels der Welt“ Rossija (Sowjetgigantomanie) entstand der weitläufige Park Zaryadye. Er wurde erst am 9. September 2017 eröffnet und enthält trotzdem schon alle in Russland vorkommenden Baumarten in beachtlicher Größe.
Neben Restaurants, Cafes, Wiesen, Steingärten Wäldchen, Teichen, Aussichtsbrücken über die Moskwa gibt es auch ein riesiges Mediazentrum, wo u.a. in einem Panoramakino die Geschichte Moskaus dargestellt wurde – von der Gründung durch Fürst Dolgoruki über die Zerstörungen und Kriege mit Mongolen, Tataren, Litauer, Polen, Schweden, Franzosen und Deutsche bis hin zur Begrüßung des weltweit ersten Kosmonauten und zur fundamentalen Neugestaltung Moskaus seit 2001. Man war mitten dabei – bei den Kämpfen, Erstürmungen, Bränden, Zerstörungen aber auch bei Wiederaufbau, Jubel und Siegesfeiern. Am Anfang war alles aus Holz und die Moskwa war belebter Handelsweg für Schiffe von Schweden bis zum Byzantinischen Reich.
Dann kamen der Reihe nach Eroberer und alle mussten bittere Niederlagen einstecken.
So waren wir mittendrin im Kampfgetöse und Jubel all dieser Ereignissen. Fast benommen wanderten wir durch den Park und freuten uns an der großartigen Freiluftbühne sowie an den verschiedenen Ausblicken in alle Richtungen – zum Kreml, zum Hochhaus an der Jausamündung in die Moskwa und bis zur Erlöserkathedrale.
Die vielen kleinen Kirchen am Nordrand des Parks waren früher kaum sichtbar, da sie vom Hotel verdeckt waren und in den engen Straßen verschwanden.
Am zweiten Abend hatten wir noch das berühmte Bolschoi-Theater mit Borodins „Fürst Igor“ auf dem Programm. Vom Zentrum zu Valentinas Wohnung sind es mit Metro nur 20 Minuten.
Das mehrere Jahre renovierte Bolschoi-Theater verbindet nur Modernes mit Tradition. Ich erinnere mich, wie ich einmal Karten erstand und im 6. Rang dann sichtbehindert hinter Säulen die Aida erlebte. Diese Sichtbehinderung gibt es nicht mehr, dafür gibt es Aufzüge nach oben und eine großflächige Buffetebene im 7. Rang.
Der Fürst Igor ist eine Oper, die man in Westeuropa kaum kennt. Nachdem wir die Polowetzer Tänze auf dieser Bühne erlebten, konnten wir uns gar nicht vorstellen, wie eine westeuropäische Opernbühne das Niveau schaffen könnte – da waren ja in allen vier Tänzen an die 200 Tänzer und Sänger auf der Bühne.
Ganz benommen von dieser musikalischen und darstellerischen Gewalt genossen wir nach der Vorführung die Pracht der abendlichen Moskauer Innenstadt.
Am dritten Tag war unser Treffen zur Feier des 50jährigen Studienbeginns in unserer Technischen Universität MEI angesagt. Das sollte erst am Nachmittag beginnen und so besuchten wir die neuen Ausstellungen am Park unterhalb der Erlöserkathedrale. Heute führt der Metro-Ausgang direkt hierher – ohne Straßenüberquerung wie früher.
Auch dieser Park ist neu gestaltet und Für Zar Alexander II. steht nun sogar ein imposantes Denkmal. Immerhin wurden unter seiner Regentschaft die Leibeigenschaft aufgehoben, der Krieg im Kaukasus beendet und die Osmanen aus Serbien sowie Bulgarien verjagt.
Die Ausstellung selbst setzt sich aus Leihgaben privater Sammler zusammen, und da kann man nur staunen, was sich so alles im Privatbesitz befindet. Gleich zu Beginn treffen wir auf Alexander I. – den Napoleonbezwinger. Er ist umrahmt von Schlachtenbilder und ihm gegenüber hängt Napoleons Kriegserklärung an der Wand.
Geschichtlich geht es weiter mit Ikonen aus verschiedenen Epochen, einem Gemälde zur Taufe des Fürsten Wladimir sowie Erinnerungen aus Peters Zeit mit Büste, Vasen und Schmuckstücken sowie einem Bild wo er seiner Katharina die Insignien der Macht übereignet. So konnte sie nach seinem Tode Zarin werden!
Nach der Besichtigung vieler Wertsachen und Bilder konnten wir uns in der Kirchenmensa „Trapeznaja“ unterhalb der Kathedrale erfrischen und auf ging‘s zur Uni.
Vor den Toren der Uni warteten schon viele ergraute Kommilitonen unseres Jahrgangs – mit viel Freude und Umarmungen war der Kontakt gleich wieder da – wie vor 50 Jahren. Unser bulgarischer Freund Dima war ja immer spindeldürr, nun hat er aber auch zugelegt.
Nach der Begrüßung gab es erst mal eine Einführung im neuen Hörsaal unseres Lehrstuhls. Alle Achtung, da wurde das Modernste vom Modernen installiert. Finanziert wurde das von den russischen Betreibern der elektrischen Netze. Meine Unis in D bzw. A haben so was Schickes nicht. An diesen Hörsaal haben Natascha und ich unterschiedliche Erinnerungen: Hier habe ich im Juni 1976 meine Dissertation verteidigt. Natascha erinnert sich, dass in vielen alten Holzbänken eingeritzt war „Bin verliebt in Komarova“ (Mädchenname). Eine tolle Vorlage für meinen späteren Trinkspruch – „Auf die Energietechniker, die mit der Modernisierung des Hörsaals solchen Unfug unterbunden haben!“
Nun ging es direkt zum neugestalteten Lehrstuhl „Elektrische Netze und Systeme“. Wir trafen hier unseren lieben Ex-Coach und langjährigen Freund Prof. Zuew. Der stellvertretende Lehrstuhlchef gab uns einen Einblick, wie es unserem Lehrstuhl heute geht. Die schlimmsten Jahre aus der Jelzinzeit, wo man den Universitäten Heizung und Strom abschaltete sind zwar vorbei, aber monetäre Motivation, Professor zu werden gibt es immer noch nicht. Der Lehrstuhl wird heute von einem großen Chef des Übertragungsnetzbetreibers geleitet. Er ist zwar kaum da und genießt nur den Titel, dafür spendiert er aber Geld, damit der Lehrstuhl gut eingerichtet und ausgestattet ist.
Mit dieser Erkenntnis ging es in unsere frühere „Glasmensa“, die noch fast genauso aussieht wie vor 50 Jahren, sich aber heute besonders herausgeputzt hatte.
Es ging lustig los mit Erinnerungsfotos, Gitarre und Gesang. Aber dann erhoben wir uns und gedachten der Kommilitonen, die heute schon nicht mehr unter uns sind. Es sind nicht Wenige! Viel Zeit gab es, Erinnerungen auszutauschen – mit Prof. Zuew, mit Juri Morshin, der parallel zu mir etwa die gleiche Karriere in sozialistischer Zeit absolviert hatte – bis hin zum Direktor des sowjetischen Energieforschungsinstituts. Natascha tauscht Erinnerungen an die Heimat ihrer Kindheit mit den Kommilitonen aus Usbekistan aus, und Dima ist eh überall dabei.
Eine wunderschöne Veranstaltung war das voller Emotionen, und Ljuba organisierte dann ein Taxi, das uns für nur 8 € von einem Ende zum anderen Ende Moskaus fuhr.
Aber damit waren die Moskauer Höhepunkte lange nicht zu Ende. Am Sonnabend besuchten wir ein neues Theater neben dem Konservatorium. Die Helikon-Oper ist ein seit 1990 arbeitendes Opernensemble im früheren Palast der Adelsfamilie Glebov-Streschnev. Das Haus wurde 2010 neu renoviert mit einem kleinen und einem großen Saal an das Ensemble übergeben. Wir und alle Rescetovs hatten Karten für die Kammeroper „Pyramus und Thisbe“ von John Lampe (+1751) im kleinen Saal. Aber vor der Aufführung haben wir zunächst dem Tschaikowski-Denkmal unsere Aufwartung gemacht. Da lagen natürlich wieder Blumensträuße von Verehrern – eine typisch russische Tradition, die Kunst und ihre Vertreter zu ehren.
Natürlich hat das neue Haus auch ein exzellentes Buffet!
Das Sujet der Oper ist eigentlich traurig, da es sich um ein babylonisches Liebespaar handelt, das ähnlich wie Romeo und Julia endet. Aber hier hat man aus dem Drama ein lustiges Singspiel gemacht, das mit viel Beifall bedacht wurde. Hier singen sogar die die Liebenden trennende Mauer, der Löwe und der Mond ihre Arien. Nach dem Sterben aber stehen die Liebenden wieder auf und bieten einen grandiosen Ausklang.
Am Sonntag aber traf sich Natascha mit ihrer Studienfreundin Ljusja, und ich traf Prof. Voropai. Der Nikolai hat sich als Mitglied der Akademie der Wissenschaften um das Erscheinen meines Buches in Russisch sehr verdient gemacht. Da war doch ein Treffen am Denkmal des Stadtgründers Juri Dolgoruki, gegenüber dem Moskauer Rathaus ausgemacht!
Dieser Platz war früher leer. Umso mehr freute mich, dass er heute von Pflanzenkübeln, Cafes, einer Galerie mit Verkaufsständen für landwirtschaftliche Produkte sowie einer kleinen Freiluftbühne umrundet wird. Auf der Bühne wurden gerade Gedichte vorgetragen.
Nikolai war pünktlich, und wir hatten nette Unterhaltung in einem georgischen Restaurant. Danach spazierten wir noch ein wenig durch die Innenstadt, und wieder staunte ich über die Veränderung: Alles sauber, renoviert, verbreiterte Gehwege mit Bäumen und Promenadencharakter. Früher waren die Gehwege bei Regen stets überschwemmt, nun ist alles ordentlich gemacht, und man kann keine nassen Füße mehr bekommen. An jeder Ecke auch digitale Tafeln mit Darstellung der aktuellen der Umgebung und der naheliegenden Sehenswürdigkeiten in Russisch und Englisch.
Nun war der Tage aber noch nicht zu Ende – ein weiteres kulturelles Ereignis erwartete uns nach den Freundestreffen: der neue Film „Krim“ im modernen Kinozentrum (wie Cinecitta) des Einkaufszentrums direkt vor der Haustür. Dieses Einkaufszentrum ist zwar nicht so groß wie der Avia Park, aber ebenso modern, vielseitig und großzügig. Auch hier alle ausländischen Edelmarken vertreten aber auch sehr viele russische Läden. Und hurra, die „Kinderwelt“ (Detski Mir) ist mit echt russischem Spielzeug wieder da! Was hatten wir doch für schönes Spielzeug aus der Kinderwelt immer den Neffen mitgebracht! Noch vor fünf Jahren war das alles verschwunden und durch hässliches, meist kriegerisches amerikanisches oder chinesisches Spielzeug ersetzt.
Der Film Krim handelt von zwei jungen Leuten, die sich im Höhlengebirge von Cufut Quale (siehe Krimbericht) kennenlernten und verliebten: er aus Sewastopol, sie aus Kiew. Wir konnten nun noch einmal Erinnerungen an die Landschaften um Bachtschisaray und an die Stadt Sewastopol im Kino auffrischen.
Während des Maidan stellt sie Molotow-Cocktails auf Seiten der Protestler her, während er einer Busreisegruppe aus Sewastopol angehört, die an einer Gegendemonstration teilnimmt. Die Konflikte daraus wurden sehr drastisch dargestellt.
Die Buskolonne wurde ja tatsächlich auf der Rückreise nach Sewastopol im Februar 2014 von faschistischen Milizen aufgehalten, und über 200 Menschen wurden viehisch umgebracht. Das war unseren Medien damals eine kurze Notiz wert. Im Film wurde das aber richtig dramatisch gezeigt. Es wurde auch gezeigt, welche Anstrengungen es gegeben hat, damit es beim Übergang auf der Krim kein Blutvergießen gab.
Weniger traurig verlief dann unser letzter Kunstgenuss im Tschaikowski-Konzertsaal mit der konzertanten Aufführung der russischen Oper Rusalka. Ja richtig gelesen: russische Oper! 70 Jahre vor Dvorak komponierte der russische Komponist Dargomyschskij seine mächtig tongewaltige Oper Rusalka.
Bis zur Metro Majakowskaja war es wieder nur ein Katzensprung, und dann kam wieder Neues auf uns zu: Am Majakowski-Platz ist die Ringstraße unterführt, und es stehen auf dem so geschaffenen neuen Platz Schaukeln auf denen auch Erwachsene in Sichtweite des Hotels Peking und des Außenministeriums schaukeln!
Vor dem Eintritt in den neugestalteten Saal gab es noch ein Gläschen Wein im berühmten Cafe Tschaikowski.
Den Konzertsaal hatte ich etwa vor 47 Jahren kennengelernt zur Aufführung von Beethovens 9. Er war damals in braun gehalten. Heute ist er weiß mit weiß-blauer Bestuhlung. Sieht toll aus! Aber am tollsten dann das Konzert. Der Beifall wollte kein Ende nehmen, und die Verehrerinnen und Verehrer stürmten mit ihren Blumensträußen am Ende regelrecht die Bühne.
Schade, dass man bei uns die wunderschönen russischen Opern nicht erleben kann. Woran liegt es? Ist die Inszenierung zu aufwendig? Haben die Sänger Probleme auf Russisch zu singen? Wieder hatten wir einen wunderschönen Abend erlebt.
Nun kam der letzte Tag: Natascha traf sich mit Freundin Irina, und ich war ja zur Konferenz „Digitales Umspannwerk – IEC 61850“ als Keynote-Speaker geladen. Meine Freunde Juri und Sergej hatten als Chefs des Organisationskomitees ganze Arbeit geleistet und eine tolle Konferenz hinbekommen.
Nach meinem Vortrag wurde ich bestürmt und um Interviews gebeten. Die 30 Visitenkarten waren sofort weg. Ein schöner Erfolg als „Alterspräsident“ unter den Sprechern. Aber dann zeigte mir Sergej noch das erste „digitale Umspannwerk“ in Russland mit digitalen, optischen Messwandlern einschließlich „Mischeinheit“ aus Kanada (roter Kreis), digitalem Schutz aus den USA und Feldleitgeräten von ABB aus Schweden. In einem Schulungszentrum können Netzvorgänge mit RTDS- Modulen aus Kanada hochauflösend modelliert und zur Ausbildung an moderner Technik genutzt werden. Wir diskutierten noch die Probleme bei der Entwicklung eigener Produkte. Schade, dass es da zu viele Hürden in Russland gibt und immer noch diskutiert wird: “Brauchen wir das?”
Borja lud mich zwischen zwei Interviews noch in sein Kabinett ein mit der großen Übersichtskarte des russischen Elektroenergiesystems, das auch noch viele Länder der ehemaligen Sowjetunion mitversorgt.
Pünktlich um 17:30 war dann der Aufbruch zur Busfahrt durch die Stadt. An der Schiffsanlegestelle des Hotels Ukraine (heute Radisson) wartete ein modernes Flusskreuzfahrtschiff mit dem Bankett auf uns. Es sollte eine phantastische Fahrt entlang den Ufern der Innenstadt geben!
Aus dieser Perspektive habe ich den Kreml das erste Mal gesehen!
Hier sieht man die Aussichtsbrücke sowie den Zaryadye-Park bei Nacht vom Fluss.
Noch vor ein paar Tagen sind wir dort im Park spazieren gegangen.
Es gibt von dieser romantischen Abendfahrt noch viele Bilder, aber wenigstens eines soll noch als Kompliment für das 5-Gänge-Menü dienen – mit allem was bei den Gourmets Rang und Namen hat. Na und mein Trinkspruch auf die Schönheit, Liebe und Leidenschaft der russischen Frauen war natürlich auch wieder erfolgreich!
Drei Stunden vergingen wie im Fluge, und nun legten wir wieder am Hotel Ukraine an, wo die Taxis schon auf uns warteten..
Am nächsten Morgen hieß es Koffer packen. Mascha hatte uns ein Business-Taxi bestellt, und das war ein schwarzer Mercedes. Wieder war es mit 24 € für die fast 40 km ein wirkliches Schnäppchen.
Noch einmal fuhren wir vorbei an vielen modernen Bauten über ausgezeichnet ausgebaute Straßen mit Ampelschaltung optimiert nach Verkehrsfluss und verabschiedeten uns von der Stadt unserer Jugend.
Danke Valentina, Mascha, Sascha und Petja für die nette Zeit mit Euch und die Organisation all der kulturellen Höhepunkte.
Danke Kommilitonen Ljuba, Bachrom, Borja, Chamit, Dima, Juri, Sergej, Igor, Ilja …. dass wir auch nach 50 Jahren so toll unsere Freundschaft pflegen.
Moskau, wir sehen uns wieder!